Fastnacht im Odenwald

Wie ist der Brauch entstanden?

Die Fastnacht, ein Wort voller Rätsel und Geschichte. Woher kommt es eigentlich?
Manche sagen, es stamme vom alten deutschen „faseln“, was so viel bedeutet wie Unsinn treiben oder dummes Zeug reden. Andere sehen den Ursprung in der Kirche. In der Fastenzeit, die am Aschermittwoch beginnt, jenem Moment, an dem das bunte Treiben endet und die Besinnung einkehrt.
Auch der Begriff „Karneval trägt dieses Spannungsfeld in sich. Aus dem Italienischen „Carne vale“ – „Fleisch, lebe wohl“ – spricht der Abschied von der Üppigkeit, bevor das Fasten beginnt.

Doch die Wurzeln reichen tiefer, weit zurück in heidnische Zeiten. Damals war die Fastnacht ein uraltes Ritual, um den Winter auszutreiben. Mit Masken, Lärm und Tanz wurde das „Tote“ vertrieben, damit neues Leben sprießen konnte.

Wenn heute im Odenwald die fünfte Jahreszeit beginnt, pünktlich am 11.11. um 11:11 Uhr, erwacht ein altes Feuer; der Geist des Feierns, der Ausgelassenheit und der Gemeinschaft. Von nun an erklingt sie überall, die vertraute Musik, der Narrhallamarsch oder das geheimnisvolle „Ritz am Boa“. Diese Melodien tragen das Lachen der Jahrhunderte in sich.

Wie wird der Brauch gelebt?

Im Odenwald war die Fastnacht einst ein Tag voller Arbeit und Zauber. Schon vor Sonnenaufgang begann der Fastnachtsdienstag, der wichtigste Tag des Jahres.
Alles folgte festen Regeln, denn wer sich nicht an die alten Rituale hielt, riskierte Unglück für Haus und Familie.

Alle Rituale bekamen hinsichtlich des Brauchtums einen besonderen Sinn:
– So wurde der Viehstall ausgiebig ausgemistet und mit Holzasche kreuzweise ausgestreut.
– Erbsen, Bohnen und Kartoffeln wurden verlesen.
– Dürrobst, Nüsse und Sämereien wurden gerührt.
– Arbeiten auf dem Feld durften nicht verrichtet werden.
– Die Hausfrau durfte an Fastnachtsdienstag weder die Wäsche waschen noch durfte sie spinnen       
– Die Waldarbeiter blieben an Fastnachtsdienstag zu Hause. Die Arbeitsgeräte wurden kreuzweise übereinander gelegt und im Wald abgelegt.
– Die Hausfrau legte frühmorgens eine Wagenkette kreisförmig im Hof aus. Hühnerfutter wurde in dem Kreis eingestreut. Blieben die Hühner beim Fressen innerhalb dieses Kreises, legten sie das Jahr über ihre Eier nicht in fremde Nester und wurden auch nicht vom Fuchs geholt. Hühner, die außerhalb des Kreises ihr Futter verzehrten, wurden geschlachtet oder verkauft.

Wenn der Tag sich neigte, saß die Familie beisammen und aß das traditionelle Fastnachtsgericht, Blutwurst mit Dürrobst und frischen Kräppeln.
Ein Essen, das die ganze Welt des Odenwalds auf den Teller brachte, Fleisch, Früchte und Korn. Ein Rest blieb stets als Gabe für die Verstorbenen auf dem Fensterbrett, die in dieser Nacht zu Besuch kamen.

Dann begann das närrische Treiben!
Die Dorfjugend zog durch die Gassen, lärmend, lachend, heischend; mit Masken und Kostümen, die zugleich Furcht und Freude brachten.
Typische Verkleidungen waren die so genannten Fasselbouze.
– Uraltweibchen oder Hexe mit Flickkleidern und Rute
– Pärchen, meist mit Trachtenteilen. Sie führten einen Kinderwagen mit, der mit einer quer liegenden Person belegt war.
– Erbsenbär oder Strohbär. Er wird von einem Treiber an der Kette geführt und vollführt schwerfällige Tanzbewegungen. Später wurde der Erbsenbär durch einen Fellbär ersetzt.
– Der Storch, mit nickendem Kopf und weit aufklappbarem Schnabel.
– Lumpenweib, bekleidet mit Stofffetzen
– Schimmelreiter
Und die Teufelsgeige darf in diesem Umzug nicht fehlen.
Mit jedem Sprung der Mädchen, so glaubte man, wuchs im Sommer der Flachs höher.

Wenn die Nacht hereinbrach, flammte das Fastnachtsfeuer auf den Hügeln auf. Schon Tage zuvor hatten die Kinder Holz gesammelt, Reisig geschichtet und Strohpuppen gebunden.
Nun zogen alle Dorfbewohner mit brennenden Fackeln hinauf. Die Flammen loderten, Funken tanzten in den Himmel, ein Schauspiel, das die Dunkelheit durchbrach.
Wer im Schein des Feuers stand, durfte hoffen. Die Felder, die das Licht berührte, sollten reiche Ernte bringen.
Die Jungen schwangen ihre selbst gemachten Fackeln die glühenden „Schailpriggel“, dass Feuerräder in der Luft entstanden, Kreise aus Licht als Sinnbilder für den ewigen Lauf des Lebens.
Mancherorts rollte sogar ein brennendes Feuerrad ins Tal hinab.

So hielt die Fastnacht den Menschen den Spiegel vor.
Einmal im Jahr durfte man ausgelassen sein, lachen, lärmen, über die Stränge schlagen.
Doch am Ende galt wie seit Jahrhunderten:

Am Aschermittwoch ist alles vorbei.