Geburt und Taufe im Odenwald

Wie ist der Brauch entstanden?

Im Herzen des Odenwaldes war die Frage „Wo kommen die Kinder her?“ stets von Legenden umrankt. Hier brachte Erzählungen zufolge die Hebamme, liebevoll die „Ammebäsel“ genannt, die Kinder ins Elternhaus. Manchmal hieß es auch, sie zöge sie aus einem Brunnen, oder der Storch, der „Klapperstorch“, müsse als Kindsbringer herhalten.

Eines aber war gewiss. Ein reicher Kindersegen war die Regel. Sieben bis acht Kinder galten als normal, und zwölf waren keine Seltenheit. Dies lag zum einen an der hohen Kindersterblichkeit, die stets für größeren Nachwuchs sorgte, aber auch an der Tatsache, dass die Kinder die Altersversorgung der Eltern waren, da es keine Renten im heutigen Sinne gab.

Die Sorge um das ungeborene Leben war tief. Bevor der neue Erdenbürger ins Leben trat, galten für die werdende Mutter strenge Regeln, die das Unheil abwenden sollten. So durfte sie kein Garn wickeln, nicht unter einer Wäscheleine hindurchgehen und musste den Anblick hässlicher Dinge oder Menschen meiden. All dies geschah aus tiefer Liebe und der Angst, dem Kind später gesundheitliche Schäden oder einen schlechten Charakter nachsagen lassen zu müssen.

Wie wird der Brauch gelebt?

Die Geburt selbst war eine häusliche Angelegenheit. Eine erfahrene Frau oder eine ausgebildete Hebamme stand der Gebärenden zur Seite. Kaum war das Kind auf der Welt, wurde es symbolisch im Haus willkommen geheißen, indem man ihm die vier Ecken des Zimmers zeigte. Und sofort hielt man ihm ein Buch, meist die Bibel, vor Augen, damit es die Klugheit in sich aufnehmen möge.

In den Tagen danach genossen die Wöchnerinnen im Odenwald eine besondere Ehre. Besucher brachten stärkende Gaben wie Butter, Käse, Kaffee, Wein oder Brandwein. Diese Besuche waren oft ausgelassen und deftig. Es gab Frauentänze, und Paten wurden unter großem Spektakel in einem Weidenkorb, einer „Futtermanne“, zur Zimmerdecke hochgezogen, wo sie mit einem Kohlestück drei Striche anbringen mussten. Sogar Männer, die ihren Hut vergaßen abzunehmen, wurden von den Frauen gepfändet und mussten eine Buße verrichten.

Bis zur Taufe blieb der Neuankömmling namenlos, schlicht als „Pfannenstielchen“ (Junge) oder „Rosenstielchen“ (Mädchen) gerufen.

Die Taufe war das Tor zur christlichen Gemeinschaft und musste möglichst früh erfolgen, oft noch bevor die Mutter das Wochenbett verließ. Der Grund war die hohe Kindersterblichkeit. Niemand wollte, dass das Neugeborene ungetauft mit der „Erbsünde“ verstarb. Die Zeremonie fand meist vor der versammelten Gemeinde in der Kirche statt. Geschmückt wurde der Täufling mit Taufkleid und einem reich bestickten Taufhäubchen, beides oft Familienerbstücke. Die Hebamme trug das Kind auf einem verzierten Seidenkissen zur Taufe und übergab es erst in der Kirche den Paten.

Die „God“ (Patin) und der „Pettern“ (Pate) waren mit Rosmariensträußchen geschmückt und gaben dem Kind seinen richtigen Namen. Es war üblich, dass ein Namensbestandteil vom Paten stammte. Nach der Zeremonie begleiteten die Gemeindemitglieder den Täufling nach Hause. Wohlhabende Familien warfen unterwegs Münzen, die Kinder begeistert aufsammelten. Der Pate trug den Säugling über die Schwelle und musste darauf achten, über einen querliegenden Reisigbesen zu steigen, um böse Geister abzuwehren. Dann trug er das Kind von Raum zu Raum, damit es das Haus symbolisch in Besitz nahm. Die Paten übernahmen eine Rolle, die in Zeiten der Christenverfolgung entstanden war. Im Falle des Todes der Eltern, die christliche Erziehung und das Überleben des Kindes zu sichern. Obwohl die Patenschaft heute meist symbolischer Natur ist, begleitet der Pate sein Patenkind großzügig mit Gaben bis zum 14. Lebensjahr und tritt noch einmal zur Hochzeit in Erscheinung. Sie kleiden ihr Patenkind zweimal ein, wenn es zu laufen beginnt und zur Konfirmation. Diese alten Bräuche, auch wenn manche aus Aberglauben resultierten, zeigten immer die tief verwurzelte Liebe und Fürsorge der Erwachsenen für das neue Leben.