Wie ist der Brauch entstanden?
Pfingsten, ein Fest, das seine Wurzeln tief in der Geschichte zu haben scheint, markiert den Übergang vom kargen Winter in die üppige Fülle des Sommers. Überall im Odenwald, wie auch in anderen Regionen, drehen sich die vielfältigen Rituale um ein tief empfundenes Anliegen; das endgültige Austreiben der kalten Jahreszeit und das flehentliche Erbitten von Fruchtbarkeit für Felder und Fluren.
Viele dieser uralten Pfingstbräuche bleiben bis heute geheimnisvoll und sind nicht restlos erklärbar. Es ist jedoch offenkundig, dass sie alle aus dem großen Reigen der Frühlingsbräuche stammen, deren Ursprung im Vertreiben des Winters liegt. Parallel dazu feiert die Kirche 50 Tage nach Ostern, an einem beweglichen Festtag, die „Geburtsstunde der christlichen Kirche“, wobei die Taube den Heiligen Geist symbolisiert. Dennoch ist es das Verlangen nach Wachstum und Leben, das viele der überlieferten Bräuche prägt. Auch wenn viele durch die Zeit an Bedeutung verloren haben oder ganz verschwunden sind, so zeugen erhaltene schriftliche Feldforschungen von ihrer einstigen Wichtigkeit.
Wie wird der Brauch gelebt?
Zwei weithin verbreitete Bräuche stechen hervor, die Umritte und der Laubmannszug.
Umritte
In der Pfingstzeit schwangen sich einst die Besitzer auf ihre Pferde, um die Umritte durchzuführen. Das war mehr als ein Ausritt; es war ein feierlicher Akt der Rechtspflege. Gemeinsam wurden die Grundstücksgrenzen abgeritten, ihre Einhaltung überprüft, strittige Punkte geklärt und „Recht gesprochen“. Diese Umritte sind direkt auf alte Rechtsbräuche zurückzuführen und die dabei gefassten Beschlüsse besaßen bindende Rechtskraft.
Laubmannszug
Ein besonders eindrucksvolles Spektakel war der Zug des Laubmannes. Kräftige Burschen wurden von Kopf bis Fuß in ein Gewand aus frischem Birkenlaub, Reisig, Schilf oder Stroh gehüllt. Ein geflochtener Hut aus Zweigen bedeckte den Kopf. Diese wandelnde Vegetationsgestalt, je nach Gegend auch Pfingstklözel, Pfingstkönig oder Pfingstbär genannt, symbolisierte die Einladung des Sommers und das Ausstoßen des Winters.
Unter lauten Heischesprüchen zog der Laubmannszug mit seiner grünen Mitte zum Dorfbrunnen. Dort wurden rituelle Handlungen wie Purzelbaumschlagen und Wälzen vollzogen. Die Dorfbewohner wurden dadurch animiert, kleine Spenden in Form von Eiern, Butter oder Speck zu überreichen. Mancherorts wurde sogar Salz in das Brunnenwasser gestreut, ein Zeichen, das auf einen uralten, heiligen Opferbrauch hindeutet.
Brunnenschmücken
Ein weiteres Herzstück der Pfingstbräuche ist das Ritual um das Wasser. Die Vorfahren würdigten das Wasser als Quelle der Lebenskraft und des Segens, denn die Verfügung über reines, klares Wasser war keineswegs selbstverständlich. Mit dem Wechsel vom Winter zum Sommer wurden die Brunnen feierlich gereinigt, Rückstände entfernt und instand gesetzt. Diese Mühsal musste nach getaner Arbeit zelebriert werden.
Zu diesem Zweck wurden die Brunnen prachtvoll geschmückt. Mit jungen Birkenstämmchen, duftenden Girlanden und Blumen. Bunte Papierbänder, oft auch ausgeblasene und zu Ketten gereihte Eier, flatterten in den Ästen.
Im Mümlingtal des Odenwaldes lebt diese Tradition des Brunnenschmückens erfreulicherweise fort. Hier werden am Freitag vor Pfingsten kleine Birkenbäumchen geschlagen, herbeigebracht und rund um die Brunnen aufgestellt. Sie werden mit Girlanden, Blumen und bunten Papier, oder Stoffbändern in den Stadtfarben verziert, um den Brunnen in ein wunderschönes, festliches Objekt zu verwandeln. Der Höhepunkt folgt am Pfingstsonntag, wenn Trachtenträger vor den geschmückten Brunnen treten und alte überlieferte Tänze aufführen und so die Besucher zum Verweilen in der festlichen Szenerie einladen.



