Wie ist der Brauch entstanden?
Ursprünglich wurde die „Ankunft des Herrn“ am 6. Januar gefeiert. Erst nach dem päpstlichen Konzil von Nidäa im Jahr 325 n. Chr. wurde die Geburt Jesu Christi auf den 25. Dezember neu datiert. Ausschlaggebend für diesen Termin waren auch heidnische Bräuche; die Wintersonnenwende der Römer, die Mittwinternacht (auch Julfest genannt) der Germanen und die Geburt des Horus nach ägyptischem Glauben. An diesem Tag wurde der Höhepunkt der länger werdenden Nächte zelebriert, ein Brauch, der auch durch die christliche Lehre nicht verdrängt werden konnte.
Wie wird der Brauch gelebt?
Die eigentliche Weihnachtszeit beginnt mit der Adventszeit, die mit dem ersten Adventssonntag und damit dem Beginn des Kirchenjahres zusammenfällt. Das lateinische Wort adventus bedeutet „Ankunft“. Diese Spanne von vier Sonntagen vor Weihnachten dient der geistigen Vorbereitung auf die „Ankunft Christi“ und wird als „Stille Zeit“ bezeichnet. Bei den Vorfahren im Odenwald war dies eine strikte „Fastenzeit“ mit kargem, meist fleischlosem Essen. In dieser besinnlichen Zeit war öffentlicher Tanz untersagt, Hochzeiten wurden nicht abgehalten und Rechtsgeschäfte unterblieben, es war eine Zeit der Besinnung und inneren Einkehr.
Symbole der Vorweihnachtszeit
– Der Adventskranz: Obwohl relativ jung, ist er das wohl bekannteste Symbol der Vorweihnachtszeit. Er geht auf den evangelischen Pfarrer Heinrich Wichern aus Hamburg zurück, der um 1850 die Tage der Vorweihnachtszeit symbolisch mit Kerzen auf einem geschmückten Holzrad darstellte. Später blieben die vier sonntäglichen Kerzen übrig.
– Der Weihnachtsbaum: Er war nicht immer im Odenwald heimisch, sondern begann seinen Siegeszug im 17. Jahrhundert im Elsass. Vorläufer waren immergrüne Zweige, die im Haus befestigt wurden, um böse Geister abzuhalten – eine Praxis, die schon die Germanen zum Schutz vor Schnee und Eis anwandten. Im Odenwald nannte man den Baum früher auch Christbaum, Zuckerbäumchen oder nach dem immergrünen Buxbaum. Die ersten Bäumchen wurden an Zimmerbalken aufgehängt und mit Äpfeln, Birnen, Nüssen und Papierblumen geschmückt. Der ursprüngliche, symbolträchtige Schmuck wurde im Laufe der Zeit durch bunte Glaskugeln ersetzt.
– Weihnachtsgebäck: Die Lebkuchenbäckerei hat im Odenwald eine große, über 200 Jahre alte Tradition, besonders im Reichelsheimer Ortsteil Kirch-Beerfurth. Die Lebkuchen, auch Honigbrot genannt, wurden früher von Haus zu Haus in Weidenkörben getragen. Sie dienten als Geschenke der Paten für die Kinder: Lebkuchenpuppen für Mädchen und Lebkuchenreiter für Knaben. Auch andere Gebildbrote wie Hase, Pferd oder Vogelgestalten wurden geformt, entweder durch Handformen oder das Einpressen des Teiges in Holzmodeln, zumeist aus Buchenholz.
Der Weihnachtsabend und die Bräuche
Die Klopfnächte
An den drei Donnerstagen vor Weihnachten zogen unterschiedlich verkleidete Gestalten bei Dunkelheit durch die Gassen, lärmten und warfen Getreide oder Steine gegen die Fenster. Dieser Lärm sollte in vorchristlicher Zeit Dämonen vertreiben. Später wandelte sich der Brauch ab, indem Arme und Bedürftige an die Fenster klopften, um Almosen zu erbetteln. Dies wurde als „Klöpfeln“, „Klopferle“ oder „Säckletag“ bezeichnet.
Die Ankunft des Christkindes
In den Odenwälder Dörfern wählte die Dorfjugend in der Stillen Zeit das Christkind, meist ein junges Mädchen, sowie seine Begleiter aus. Das Christkind, das aus der vorchristlichen Gestalt der Frau „Holle“ hervorging, ist in ein langes, weißes Gewand gekleidet und trägt einen Kranz mit bunten Bändern oder einen Schleier. Begleitfiguren können die Stoppelgans, das Mehlweibchen oder der Schimmelreiter sein.
Am Weihnachtsabend zieht das Christkind, geschmückt mit einer aus Birkenzweigen geflochtenen Rute, dem Symbol für Glück und Gedeihen, von Haus zu Haus. Nachdem die Hausfrau das Christkind mit dem Weihnachtsbaum und den Gabenkörbchen an der Tür empfangen hat, betreten sie die „Gutt Stubb“ und das Christkind lässt eine hell klingende Glocke erschallen. Sagen die Kinder Gedichte oder Gebete auf, erhalten sie als „Dankeschön“ Nüsse, Äpfel, Gebäck und Süßigkeiten. Nach der Bescherung wirft das Christkind seine Rute in die „Gutt Stubb“. Dort wird sie im Gebälk aufgehängt und soll das ganze Jahr über Glück und Gesundheit im Haushalt sichern.
Mancherorts reitet das Christkind auf einem Esel oder dem Schimmelreiter heran oder erscheint in Begleitung des Knecht Ruprecht (auch Belznickel genannt), der den Sack mit Gaben ausschüttet, nachdem die Kinder ihre Sprüche aufgesagt haben.
Der Belznickel und der Nikolaus
Der Belznickel ist eine männliche Gestalt mit langem, verfilztem Bart, dunklem, zerschlissenem Mantel, der mit einem Strohseil oder einer Kette zusammengehalten wird. Das Gesicht ist meist geschwärzt und der Rücken mit Stroh ausgestopft. Er trägt einen gefüllten Sack mit Äpfeln und Nüssen sowie eine Rute aus Birkenreisig.
Der Nikolaus beruht auf dem Bischof von Myra und tritt im Ornat eines Bischofs mit Mitra und Krummstab auf.
Belznickel, Knecht Ruprecht und Nikolaus verschmelzen bisweilen zu einer Person, wohingegen der Weihnachtsmann als Symbol der Geschäftswelt geschaffen wurde und wenig mit dem traditionellen Brauchtum zu tun hat.
Abschluss des Heiligen Abends
Wenn der Heilige Abend mit dem Christkind, Knecht Ruprecht oder Belznickel ausklingt, besuchen viele Familien noch die Mitternachtsmette. Ursprünglich um Mitternacht abgehalten, wird der Vespergottesdienst heute oft vorverlegt. Um Mitternacht endet die vorweihnachtliche Fastenzeit und mit der Geburt Christi beginnt ein Freudenfest. Ein wunderschöner Brauch ist dabei das Quempassingen.
Der Brauch des Quempassingens verlagerte sich vom Singen der Weihnachtsgeschichte von Haus zu Haus in die Kirche. Die Sänger bilden vier Gruppen, die sich im gesamten Kirchenraum verteilen. Alle Lichter sind gelöscht, nur Kerzen beleuchten die Sänger. Sie stimmen im Wechselgesang das Lied „Quem pastores laudavere“ an – „Den die Hirten lobet sehr“ – das dem Brauch seinen Namen gibt. Zum Abschluss entzünden die Kirchenbesucher ihre vorbereiteten Kerzen an denen der Quempassänger und tragen so ihr eigenes Weihnachtslicht nach Hause, um damit die Kerzen ihres Christbaumes zu entzünden.
Mit der modernen Zeit unterliegt das Fest einem Wandel, bei dem heute oft die Geschenke im Vordergrund stehen und der eigentliche Sinn der „Geburt Jesu Christi“ verloren geht.



